Die Kränkungsformel

Friedemann Schulz von Thun ist einer der meist zitierten Kommunikationswissenschaftler, zumindest im deutschsprachigen Raum. Von ihm stammen das bekannte Kommunikationsquadrat (Miteinander Reden 1), das innere Team (Miteinander Reden 3), die 8 Kommunikationsstile (Miteinander Reden 2) und das Werte- und Entwicklungsquadrat (Miteinander Reden 2). Wohl keine Mediationsausbildung, die ohne diese Erkenntnisse auskommt.

Von ihm stammt auch die Kränkungsformel (Miteinander Reden von A bis Z). Es geht allerdings bei dieser Formel nicht darum, einen wie auch immer gearteten Wert der Kränkung zu ermitteln. Sie dient eher dazu, dem Medianden den Zusammenhang zwischen den Faktoren deutlich zu machen. Die Kränkungsformel lautet wie folgt:

 

K ist das Ausmaß der Kränkung.
Ka ist das Kaliber der Kränkung
Et ist die Empfindlichkeitstiefe
N ist das Ausmaß der Öffentlichkeit
Ak ist die Abwehrkapazität

Das Kaliber der Kränkung spielt natürlich eine große Rolle. Es macht schon einen Unterschied, ob jemand zu mir sagt „Das hättest du besser machen können“ oder „Was hast Du Dir denn da zusammengeschustert?“. Bei der Empfindlichkeitstiefe kommt es darauf an, ob jemand hier meinen wunden Punkt erwischt oder ob das Thema für mich nicht wichtig ist. Es macht auch einen Unterschied, ob mir etwas unter vier Augen gesagt wird oder vor versammelter Mannschaft. Die Abwehrkapazität wird dadurch bestimmt, ob es mir gelingt, der Kränkung schlagfertig zu begegnen oder ob ich nichts erwidern kann.

Im Rahmen der Mediation kann ich mit dem Medianden dann klären, welcher Faktor die starke Kränkung hervorgerufen hat und auf welche Weise dies wieder aufgelöst werden kann.

Da fällt mir gerade die Auseinandersetzung zwischen Angela und Horst in den letzten Tagen ein. Äußerlich scheint Angela ja ungekränkt aus der Schlacht hervorzugehen. Das Ausmaß der Öffentlichkeit war ja sehr groß. Die Sätze, dass Horst mit der Frau einfach nicht könne und „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist“ gingen durch die gesamte Presse. Das Kaliber der Kränkung ist auch nicht zu verachten. Angela hat zunächst darauf nicht reagiert, so dass auch die Abwehrkapazität gering war. Das einzige, was die Ungerührtheit von Angela erklärt, ist die fehlende Empfindlichkeitstiefe. Offenbar dringt das, was Horst von sich gibt, nicht allzu tief ein. Das sollte Horst zu denken geben. Offenbar nimmt Angela ihn nicht allzu ernst, sonst hätte sie verschnupft reagieren müssen.

Oder aber, sie klebt ein paar zusätzliche Rabattmärkchen in das Seehofer-Rabattheft ein. Irgendwann einmal löst sie dann das Rabattheft ein. Wir können gespannt sein.

Interpunktion oder wer hat angefangen?

Wir können nicht anders! Schon Kinder antworten, wenn sie beim Streiten angetroffen werden: „Der andere hat angefangen!“ Und als Erwachsene machen wir es genauso.

Watzlawick formulierte das 3. Axiom der Kommunikation wie folgt: „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktionen der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.“

Was ist damit gemeint? Jede Äußerung menschlicher Kommunikation ist Reaktion und Ursache zugleich. Wir neigen dazu, immer nur unseren Beitrag zur Kommunikation als Reaktion zu sehen. Menschliche Kommunikation ist auch nicht in Kausalketten auflösbar. In Wahrheit kann niemand genau sagen, was und wer bei einem Streit angefangen hat. Der von einer Seite gesehene(angebliche) Ursprung eines Streites entsteht nur durch das willkürliche Setzen eines Anfangspunktes. Das nennt man Interpunktion bei der Kommunikation. Beliebtes Beispiel ist die Ehefrau, die nörgelt, und der Ehemann, der sich zurückzieht. Sie wird der Überzeugung sein, dass sie nur nörgelt, weil er sich immer zurückzieht, er wird erklären, dass er sich nur zurückzieht, weil sie immer nörgelt. Sie finden das Beispiel auch schön dargestellt bei Wikipedia hier.

Weil jeder der Beteiligten immer nur seinen Beitrag als Reaktion auf den Beitrag des anderen sieht, entstehen hier Teufelskreise, die sich selbst immer wieder beflügeln. Hieraus kann man nur ausbrechen, wenn man die Eben, in der das Problem auftritt, verlässt und Metakommunikation betreibt, d.h. über die Kommunikation kommuniziert. Praktisch sieht man sich das eigene Verhalten und das Verhalten des anderen von einer höheren Warte aus an. Im übertragenen Sinne: Man steht auf einem Turm und sieht sich selbst und den anderen unten agieren.

Da die Streitbeteiligten in aller Regel in ihrem Streit gefangen sind, sind sie meist nicht in der Lage, insoweit die Sichtweise zu ändern. Dies ist dann Aufgabe eines Mediators, der den Streitenden hilft, sich in eine höhere Warte zu begeben und zu sehen, wie sie in dem Konflikt agieren. Das hilft oft, derartige Teufelskreise aufzulösen und konstruktive Ergebnisse zu erzielen.

Kommunikation: Die vier Arten des Zuhörens

In einem früheren Posting hatte ich auf das Buch von Christian-Rainer Weisbach „Professionelle Gesprächsführung“ hingewiesen. In dem gleichen Buch unterscheidet er vier Arten des Zuhörens:

(1) Das „Ich verstehe“-Zuhören
Wie Weisbach ausführt, handelt es sich hierbei eigentlich gar nicht um Zuhören sondern um den Auftakt zum eigenen Sprechen. Da es als unhöflich gilt, dem anderen ins Wort zu fallen, wird mit einer „netten“ Floskel überdeckt, dass man nicht zugehört hat. Man redet locker aneinander vorbei, ohne das wirklich zu überdecken. Nach der Floskel „Ich verstehe“ oder „Da haben Sie recht , aber..“ kommt nicht wirklich eine Stellungnahme. Körpersprachlich können Sie schon vorher beobachten, dass der Gesprächspartner sich vorbeugt, er kurz nickt oder sich aufrichtet und Luft holt, alles Anzeichen, dass er jetzt etwas von sich geben will. Tatsache ist aber, dass ein echtes Zuhören hier nicht stattfindet.

(2) Das aufnehmende Zuhören
Beim Aufnehmenden Zuhören wird die Aufmerksamkeit wirklich auf die Worte des Gesprächspartners gerichtet. Dies bedeutet einmal, dass man selbst schweigt. Weisbach bezeichnet es als echtes Schweigen, bei dem nicht das Gehörte durch Körpersprache kommentiert wird, unserer Ungeduld körpersprachlich Ausdruck gegeben wird oder unser Desinteresse zeigen. Typisch für diese Art des Zuhörens ist der direkte Blickkontakt mit dem Gesprächspartner gekoppelt mit einem leichten Kopfnicken. Dies bedeutet aber nicht, das wir unserem Gesprächspartner in die Augen starren. Ist der Blickkontakt nicht möglich, wie etwa am Telefon, wird durch kleine Zuhörfloskeln ersetzt wie „Mhm“, „Aja“ und ähnliches.

(3) Das umschreibende Zuhören
Beim umschreibenden Zuhören geben Sie das vom Gesprächspartner Gesagte mit eigenen Worten wieder. Dies bedarf bereits einiger Übung. Es ist weitaus einfacher, ganze Sätze wörtlcih zu wiederholen, ob wir sie verstanden haben oder nicht, als sie mit eigenen Worten zu wiederzugeben. Sie geben hierdurch zu erkennen, dass Sie nicht nur zugehört haben, sondern das Gesagte auch verstanden haben und auch bereit sind, weiter über das Thema zu sprechen. Als Einstieg können Sie Formulierungen verwenden wie “ Ihnen ist wichtig, dass …“ oder „Verstehe ich dich richtig, dass ….“. Die Schwierigkeit beim umschreibenden Zuhören ist, zunächst die eigenen Ansichten und Meinungen zurückzustellen und zunächst einmal die Meinung des Gesprächspartners zu verstehen. Üblicherweise sind wir, während der Gespächspartner noch spricht, bereits damit beschäftigt, unsere eigenen Gedanken vorzuformulieren. Wir hören allenfalls noch hin, um mitzubekommen, dass der andere fertig ist, um nun selbst zu sprechen. Sie können diese Art des Zuhörens einmal üben, indem Sie mit einem Gesprächspartner ein Thema aussuchen, über das Sie diskutieren und dabei die Regel vereinabaren, dass man erst dann ein eigenes Argument vorbringen darf, wenn man die Argumentation des anderen zuvor vollständig mit eigenen Worten wiedergegteben hat. Diese Übung macht viel Spass.

(4) Das aktive Zuhören
Das aktive Zuhören ist die hohe Kunst des Zuhörens. Hier achten Sie nicht nur darauf, was der andere sagt, sondern auch wie er spricht und sich verhält. Es geht also darum, dem Gesprächspartner deutlich zu machen, dass sie ihn nicht nur inhaltlich verstehen, sondern auch dessen Empfindungen mitbekommen. Ihr Gesprächspartner fühlt sich durch das aktive Zuhören verstanden. Indem Sie die Gefühle des anderen wiederspiegeln und verstehen (Sie müssen nicht einverstanden sein), kommt ein echtes Gefühl des Verstandenseins auf. Das ist der Schlüssel zu ihrem Gesprächspartner.

Noch einmal, verstehen bedeutet nicht einverstanden zu sein. Sie können einen Gesprächspartner inhaltlich verstehen und auch dessen Gefühle nachvollziehen, ohne dass Sie die Argumente gut heißen oder die mit den Emotionen des anderen einverstanden sind.

Ach und Sie? Wie hören Sie zu??

Kommunikation: Die fünf Arten der Gesprächspause

Sowohl die anwaltliche Tätigkeit als auch die Mediation beruhen zum größten Teil auf Kommunikation. Kenntnisse der Grundlagen von Kommunikation bzw. gute Kenntnisse und das Beherrschen der kommunikativen Werkzeuge sind Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Tätigkeit in der Mediation und auch im Beratungsbereich.

Einen guten Ansatz für eine bessere Kommunikation und für den Zugang zu dem Mandanten oder Klienten habe ich in dem überaus empfehlenswerten Buch von Christian-Rainer Weisbach „Professionelle Gesprächsführung“ gefunden: Die fünf gängigen Gesprächspausen:

1. „Sie sind dran“
Diese Art der Gesprächspause ist dadurch gekennzeichnet, dass Ihr Gesprächspartner Sie anschaut und oft noch mit dem Kopf nickt. Sie sollten in diesem Fall der Aufforderung nachkommen und nun Ihre Argumente vorbringen.

2. „Ich denke nach“
Schaut Ihr Gesprächspartner mit entspanntem Blick nach schräg oben, können Sie davon ausgehen, dass Ihr Gesprächspartner gerade darüer nachdenkt, ob er alle Gesichtspunkte erwähnt hat, wie er das nächste Argument formuliern will oder mit welchen Enwänden er von Ihnen rechnen muss. Wenn Sie an einem wirklichen Gedankenaustausch und Gespräch interessiert sind, sollten Sie der Verlockung, die Sprechpause zu nutzen und nun selbst zu argumentieren, widerstehen und abwarten.

3. „Ich sinne nach“
Beim Nachsinnen will sich Ihr Gesprächspartner über seine Gefühlswelt im klaren werden. Er lauscht in sich hinein. Sie erkennen diese Art der Gesprächspause daran, dass Ihr Gesprächspartner schräg nach unten blickt. Derartige Gesprächspausen können relativ lange dauern. Auch hier sollten Sie nicht die Gelegenheit wahrnehmen, Ihre eigenen Ausführungen nun zum besten zu geben. Lassen Sie Ihren Gesprächspartner nachsinnen und seinen Gesprächsfaden weiterspinnen.

4. „Das ist mir peinlich“
Stoppt Ihr Gesprächspartner mitten im Gesprächsfluss, weil er merkt, dass ihm etwas peinlich ist oder er sich um Kopf und Kragen redet, so blickt er dann in der Regel unmittelbar unter sich in der Regel mit gesenktem Kopf.  Hier liegt es in Ihrem Interesse, ob Sie Ihrem Gesprächspartner durch einen eigenen Redebeitrag aus der peinlichen Situation helfen oder ob Sie ihn im eigenen Saft schmoren lassen.

5. „Lass uns schweigen“
Durch einen Blick in die unbestimmte Ferne zeigt Ihnen der Gesprächspartner, dass die Stille nicht durch weitere Redebeiträge gestört werden soll. Diese Art der Pause kommt relativ selten vor.

Welchen Vorteil hat die Kenntnis der fünf Arten der Gesprächspause. Wenn Sie darauf achten und nicht jede Gesprächspause dafür nutzen, selbst (endlich) Ihre Argumentation vorzubringen, werden Sie schnell feststellen, dass es zu einer echten Unterhaltung kommt und nicht nur zu gegenseitigen Monologen. Auch wird es Ihrem Gesprächspartner gelingen, sich über seine eigene Haltung und Argumentation klar zu werden. Gerade im Beratungsbereich ist es unabdingbar, dass Sie zunächst vollständige Informationen erhalten. Dies gelingt nur, wenn Sie zunächst Ihren Mandanten oder Klienten wirklich ausreden lassen.

Über die vier Arten des Zuhörens werde ich in einem späteren Posting schreiben. Jedem, der sich ernsthaft mit Fragen von Kommunikation beschäftigt, kann ich das Buch von Weisbach nur ans Herz legen.