Phase 2 der Mediaton: Mehr als Themensammlung

Oft wird die zweite Phase der Mediation als Themensammlung bezeichnet. Als ich meine Mediationsausbildung absolvierte (das ist immerhin schon mehr als 20 Jahre her), wurde diese Phase noch als Konfliktdarstellung gelehrt. Beide Bezeichnungen haben wohl ihre Berechtigung.

Natürlich ist die Sammlung der zu bearbeitenden Themen ein Ergebnis der zweiten Phase und sollte auch nicht aus den Augen verloren werden. Ebenso wichtig ist aber, dass die Konfliktbeteiligten hier die Gelegenheit bekommen, ihre Sichtweise auf den Konflikt einmal ungestört darzustellen. Unser übliches Kommunikationsverhalten, besonders im Konflikt, führt dazu, dass wir dem anderen nicht zuhören und wir auch nicht wirklich alles aussprechen. Die  eine spricht nicht alles aus, weil sie meint, das habe sie schon alles tausendmal gesagt, der andere hört nicht bis zum Ende zu sondern denkt spätestens ab dem zweiten Satz der einen bereits über seine Erwiderung nach, er kennt (bzw. meint zu kennen) ohnehin alles, was die eine sagt.

Anders in der Mediation. Hier kann jede(r) Beteiligte einmal seine Sichtweise des Konflikts darstellen und der jeweils andere muss zuhören, kann aber auch nachfragen. Oft entdecken die Beteiligten bereits jetzt, dass sie in manchen Punkten grandios aneinander vorbei geredet haben, weil sie sich nicht zugehört haben.

Neben der Sammlung der zu bearbeitenden Themen dient diese Phase dazu, ein Vertrauen zwischen den Beteiligten aufzubauen. Dem Mediator sollte eigentlich bereit in der Eröffnungsphase gelungen sein, das Vertrauen der Mediandinnen und Medianden zu erworben zu haben. Anders besteht aber zwischen Mediandin und Mediand angesichts des schwelenden Konflikts nach wie vor wenig bis kein Vertrauen. Vertrauen ist aber die Voraussetzung dafür, dass eine gemeinsame interessengerechte Lösung gefunden werden kann. Aufgabe des Mediators ist daher, zwischen den Streitbeteiligten wieder Vertrauen herzustellen. Vertrauen entsteht dadurch, dass jeder sich dem anderen gegenüber öffnet. Genau dies soll in der Phase der Konfliktdarstellung beginnen. Außerdem ist es wichtig, dass die Medianden begreifen, dass es ganz normal ist, dass jeder Mensch seine eigene Sichtweise hat. Genau dies vermittelt der Mediator, indem er die Darstellung der Mediandin nicht als Fakt sondern als Sichtweise übernimmt und der jeweils anderen Seite vermittelt. Damit wird auch klar, dass über Sichtweisen nicht gestritten werden muss (kann).

Ich wende die von mir entwickelte Methode des strukturierenden Visualisierens in der Mediation an. Hier werden Sichtweisen mit einem entsprechenden Piktogramm auf Post-Its visualisiert. Dies macht die Relativität der Sichtweisen für die Medianden deutlich.

Aus diesen unterschiedlichen Sichtweisen ergeben sich dann auch automatisch die zu bearbeitenden Themen, die dann ebenfalls visuell festgehalten werden.

Sowohl die entstehende Offenheit zwischen den Medianden als auch die Visualisierung tragen dazu bei, Misstrauen abzubauen und Vertrauen entstehen zu lassen und bereitet daher den Rahmen für die weitere Konfliktbearbeitung in der Mediation.

Gegensätze aushalten…

Wolfgang Pfensig  / pixelio.de
Wolfgang Pfensig / pixelio.de

…das ist es, was ein Mediator lernen muss. Es ist normal, dass man als Mediator von den Medianden zwei Geschichten hört, die nicht zusammenzupassen scheinen. Als Mediator werde ich mich davor hüten, zu entscheiden, welche der Geschichten glaubhafter oder näher an der Wahrheit ist. Ich werde beide Geschichten als die subjektive Wahrheit des jeweiligen Medianden akzeptieren. Bei der Mediation geht es ja gerade nicht darum, herauszufinden, wer Recht hat und wer nicht (genauso wenig wie wer angefangen hat und wer nur reagiert hat).

Genau das ist die Herausforderung für jede Mediatorin und für jeden Mediator, beide subjektiven Wahrheiten auszuhalten und den Medianden zu helfen, eine Lösung zu finden, ohne dass entschieden werden muss, welche der beiden Wahrheiten nun wirklich wahr ist (wahrscheinlich keine).

Als Mediator/-in muss ich lernen, die automatische Beurteilung von Geschichten der Beteiligten an der Mediation in seinem Hirn abzuschalten. Wenn ihm/ihr das nicht gelingt, kann er als Mediator nicht wirklich neutral sein und empathisch. Gerade für Juristen, die immer nach DER Wahrheit suchen, ist dies ein ungewohntes Verhalten. Genauso wie es ungewohnt ist, im Kopf schon mögliche Lösungen zu entwickeln. Auch das sollte und darf ein Mediator, eine Mediatorin nicht tun. Nur so ist er offen für die Lösungsideen der Medianden und schafft auch den Raum und die Atmosphäre, eigene Ideen für die Lösung zu entwickeln.

So kann Mediation gelingen – und liebe Juristenkollegen, das ist eben doch etwas anderes, als irgendeinen Kompromiss als Vergleich hinzubasteln (auch wenn das immer noch besser ist, als sich bis zum bitteren Ende zu bekriegen).

Zeig mir’s!

Eines der mächtigsten Werkzeuge des Mediators ist es, nicht nur mit den Medianden zu sprechen, sondern die Komplexität der zu behandelnden Konflikt-Themen zu visualisieren. Ein Flipchart oder Whiteboard ist eine unverzichtbare Ausstattung eines Mediationszimmers.

Das menschliche Gehirn ist bekanntermaßen nur in der Lage 7 +/- 2 Informationseinheiten im Arbeitsgedächtnis zu behalten. Durch das Speichern von Informationen auf dem Whiteboard oder Flipchart kann eine größere Zahl von Fakten festgehalten werden.

Wegen der begrenzten Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses haben wir uns auch angewöhnt, alle Argumente in einer Diskussion so lange zu wiederholen, bis wir meinen, sie sind beim Gegenüber wirklich gespeichert. Das macht manche Diskussion so extrem unfruchtbar. Auch das wird durch das Visualisieren der Argumente und Informationen verhindert. Man sieht, dass das Argument/die Information auf dem Flipchart festgehalten wurde und man muss es/sie nicht noch sechs bis acht mal reproduzieren.

Der dritte Vorteil des Visualisierens ist die Strukturierung von Komplexität. Durch das Festhalten auf dem Whiteboard oder Flipchart kann man die gerade diskutierten Probleme/Streitpunkte Gliedern und in einzelne Teile zerlegen. Gerade in der Mediation geht es oft um Themen, die komplex und miteinander verwoben sind. Wenn man die einzelnen Abhängigkeiten aufzeigt und die einzelnen Bestandteile abbildet, kann auch die Diskussion geordneter ablaufen, indem der Mediator in wahrsten Sinn des Wortes den Medianden vor Augen führt, welches Detail gerade erörtert wird.

Ein letzter Nutzen des Visualisierens ist es, dass allein schon die Tätigkeit des Aufschreibens auf dem Flipchart/Whiteboard eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt und ihrerseits die Diskussion zeitlich in Abschnitte aufteilt. Üblicherweise hören wir uns in Diskussionen ja nicht bis zum Ende zu sondern fangen nach den ersten paar Worten des Sprechenden bereits an, über unsere Gegenargumentation nachzudenken. Der Rest dessen, was der andere sagt, rauscht ziemlich an uns vorbei und das erste Atemholen des Sprechers gibt uns die Gelegenheit, unsere Argumente als Breitseite abzufeuern, während der andere uns wieder nicht zuhört. Diese Art der Monolog-Diskussion wird auch durch die zeitliche Strukturierung vereitelt (sofern der Mediator nicht ohnehin darauf achtet, dass der andere wirklich zuhört). Der Sprecher sieht, dass seine Argumente und Informationen ernst genommen werden (sie stehen ja auf dem Flipchart) und der andere weiß, dass er Zeit hat, im Anschluss seine Argumente vorzubringen. Er kann entspannt zuhören. Er hat ja während des Visualisierens durch den Mediator dann Gelegenheit, seine Argumentation gedanklich vorzubereiten. Dies befruchtet in aller Regel den Dialog und führt zu einem echten Gedankenaustausch. Zudem verhindert es, dass die Unterredung emotional aufgeladen wird und sich die Eskalationsspirale dreht.

Demnach ist das Visualisieren eine Technik, die sich nicht nur für die Mediation fruchtbar nutzen lässt.

Mediation: Gibt es immer eine Win-Win-Lösung?

Natürlich nicht! Es wäre vermessen, als Mediator zu behaupten, dass es für jeden Konflikt eine Win-Win-Lösung gibt (das ist eine Lösung, bei der beide Seiten gewinnen). Überall dort, wo es um Verteilungskonflikte geht und die Ressourcen tatsächlich begrenzt und knapp sind, wird es nicht möglich sein, eine Win-Win-Lösung herbeizuführen.

Oft ist aber ein Verteilungskonflikt nur scheinbar streitauslösend. Im berühmten Apfelsinenbeispiel (nein ich schreibe es hier nicht zum x-ten Mal, googeln Sie danach, Sie bekommen massenhaft Fundstellen) handelte es sich z.B. nicht um einen echten Verteilungskonflikt. Es muss gelegentlich eben genau definiert werden, was die Parteien wünschen bzw. welche Interessen sie haben. Eruiert man genau, was die Parteien wollen, stellt sich in dem Beispiel heraus, dass die eine die Schale benötigt, die andere das Fruchtfleisch. Es gibt daher keinen Verteilungskonflikt.

Genau dies herauszuarbeiten, ist Aufgabe des Mediators. Die Konfliktbeteiligten können es in der Regel nicht, da sie zu sehr in ihren Positionen (Ich will die Apfelsine haben!) verfangen sind. Ein wichtiges Werkzeug hierfür ist die Frage nach dem wozu statt nach dem warum.

Ist die Mediation gescheitert, wenn es keine Win-Win-Lösung gibt? Nein, natürlich nicht. Es gibt eine Abstufung von möglichen Lösungsoptionen. Die nächste Stufe wäre die „kleine“ Win-Win-Lösung, bei der die Beteiligten ihre Interessen nicht zu 100% erfüllen können, aber zumindest beide gleich viel gewinnen. Sollte trotz aller Kreativität auch hier keine Lösung gefunden werden, käme die No-Win-No-Lose-Lösung in Frage, bei der keiner gewinnt und keiner verliert. Danach überprüft man, ob es eine „kleine“ Lose-Lose-Lösung gibt, bei der beide gleichermaßen verlieren. Scheitert auch diese Möglichkeit, sollte man versuchen, zumindest die Regeln eines fairen Kampfes festzuschreiben, z.B. eine Schiedsklausel oder aber die Möglichkeit, ein Gericht entscheiden zu lassen (keinesfalls sollte aber der Mediator als Schiedsrichter fungieren). Erst wenn auch diese Möglichkeit ausgeschöpft ist, ist die Mediation gescheitert.

Der Mediator muss aber darauf achten, dass immer genau geklärt wird, was als Gewinn bzw. Verlust gewertet wird. Im apfelsinenbeispiel ist der Verlust der Schale für die eine Beteiligte kein Verlust, für die Andere ist der Verlust des Fruchtfleisches kein wirklicher Verlust.

Weg mit den Positionen!

Was macht das Verhandeln (nicht nur in der Mediation) oft so schwierig? Das frühe Festlegen der Verhandlungspartner auf Positionen (in der Regel kommen sie ja bereits mit festgefahrenen Positionen in die Mediation oder Verhandlung)!

Eines der größten Probleme in der Mediation ist es, diese verhärteten Standpunkte aufzulösen. Nur so ist Raum für konsensuale Lösungen.

Erster Schritt ist, Positionen nicht als solche seitens des Mediators wahrzunehmen, sondern sie als Vorschläge zu behandeln und als Ideen oder Vorschläge festzuhalten und zu visualisieren. Dies lässt demjenigen, der diese Position benannt hat, die Möglichkeit offen, sich von dem Standpunkt zu lösen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Verhandlungspartner tendieren ja dazu, allein deshalb auf Positionen zu verharren, weil sie meinen, ihr Gesicht zu verlieren, wenn sie von dieser Position noch einmal abrücken. Das geht dann nur mit einer (möglicherweise auch unlogischen) Begründung, z.B. „weil Sie es sind“.

Gelingt es daher dem Mediator, diese Positionen z.B. unter der Überschrift „Möglichkeiten“ oder „Ideen“ oder ähnliches zu notieren, bleibt demjenigen, der sie benannt hat, jederzeit die Möglichkeit, sich hiervon zu lösen.

Die Zweite Möglichkeit Standpunkte zu relativieren ist es, die Diskussion auf eine sachliche Eben und eine Ebene höher zu bringen. Es ist bekannt (schon seit Einstein), dass Probleme nie auf der Eben gelöst werden können, auf denen sie entstanden sind. Ziel muss es daher sein, von der endlosen Diskussion gegensätzlicher Positionen wegzukommen (auf der Ebene zu argumentieren, auf der die Standpunkte entstanden sind, haben die Mediationsklienten in der Regel vor der Mediation oft mit Hilfe ihrer Anwälte erfolglos versucht und allenfalls den Konflikt hierüber verschärft).

Ganz interessante Ansätze hierfür liefert Edward De Bono in seinem Buch „De Bonos neue Denkschule“. Eine der Methoden De Bonos ist die Methode des PMI (=Plus, Minus, Interesse). Der Mediator veranlasst die Beteiligten, zu jedem Vorschlag (=Position) alle positiven, alle negativen Punkte aufzuführen und festzuhalten, was an dem Vorschlag interessant ist. Hierbei ist es durchaus möglich, dass ein Aspekt sowohl auf der Positiv- als auch auf der Negativseite auftaucht. Hier ist einfach die Sichtweise maßgebend. Hierdurch gelingt es in der Regel gut, die Verhandlung zu versachlichen, da mit dem Festhalten von Aspekten noch keine Entscheidung in der einen oder anderen Richtung verbunden ist.

Eine zweite Methode, De Bono nennt sie EBS, ist den Juristen nicht fremd. EBS bedeutet „Erforsche beide Seiten“ oder „examine both sides“, in der Rechtslehre heißt es „audiatur et altera pars“. Der Mediator bringt die Parteien dazu, die Position oder den Vorschlag des anderen in allen Facetten zu erkunden, ohne dass damit eine Akzeptanz des Vorschlags unterstellt wird. Auch hier betrachten die Parteien ihre Vorschläge von einer höheren Warte aus und können sachlich hierüber diskutieren. Der Mediator hat die Aufgabe, immer klarzustellen, dass auch das benennen und betrachten der „gegnerischen“ Vorschläge noch keine Zustimmung hierzu bedeutet.

Ebenfalls den Weg zur Sachlichkeit ebnen soll die weitere Methode De Bonos, abgekürzt als „EUI“ in der deutschen Übersetzung oder „ADI“ im Original: Einigkeit, Uneinigkeit, Irrelevanz (agreement, disagreement, irrelevance). Gemeinsam stellen die Streitbeteiligten unter Anleitung des Mediators fest, wo und in welchen Punkten die Parteien einig sind, wo sie uneinig sind und welche Punkte für die Einigung irrelevant sind. Hier wird in keiner Weise ein Druck ausgeübt, wir müssen einig werden, sondern es kann ganz einfach sachlich von der Eben eines Dritten aus festgestellt werden, wo sind wir uns einig, wo sind wir uneins und was können wir in der Diskussion vernachlässigen. Dies hilft den Parteien, die Diskussion zu versachlichen. Oft stellen die Parteien hierbei fest, dass sie eigentlich nur noch in wenigen Punkten Differenzen haben.

Nun besteht für den Mediator die Möglichkeit, noch eine Ebene höher zu gehen und zu fragen, was das (gemeinsame?) Ziel ist. Dieses Ziel sollte dann möglichst konkret definiert werden. So werden sie normalerweise ohne weiteres in einer Familienmediation die Partner dazu bringen, Kindeswohl als Ziel zu benennen. Damit lässt sich aber alles begründen. Also muss der Mediator dafür sorgen, dass dieses allgemeine Ziel möglichst konkretisiert wird, also in unserem Beispiel, woran das Kindeswohl im einzelnen festgemacht wird (eventuell ist hier auch ein Punkt, an dem die Kinder in die Mediation einbezogen werden können, damit die Frage, was ihrem Wohl zugute kommt nicht über ihren Kopf hinweg entschieden wird).

Dies alles sind Werkzeuge, auch in verhärteten Positionskämpfen die Möglichkeit für eine Einigung zu eröffnen.